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Geschichte der Stadt Zwittau und ihrer Umgebung

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Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenverachtend?
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FUCHS

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Beiträge: 190
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Wohnort: Wien
Beitrag Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenverachtend?. Verfasst am: 16.09.2010, 11:34    
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Am 29. Dezember 1879 stirbt in Wojes 9 die 23 Jahre 8 Monate alte Rosalia Winkler.

Der Pfarradministrator Josefus Winopal trägt diesen Sterbefall im Gegensatz zu den vorhergehenden und nachfolgenden in lateinischer Sprache ein:

"Rosalia filia Joannis Winkler casarii Wojesiae et uxoris Joannae natae Josefi Goießl casarii Vet. Molet.
Todesursache: Imbecillitas
Dann ist er wohl mit seinem Latein am Ende und schreibt in der Spalte "Hat versehen":
"Wegen ihrer Blödsinnigkeit kein Priester gerufen worden"

Die angegebene Todesursache, die wohl vom Beschauschein herrührt ?, ergibt sich für mich "an Blödheit gestorben".


Wie ging man im 19. Jahrhundert wohl mit geistig behinderten Menschen um?


Christian Fuchs
Wien
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Emil

Foren-Profi

Beiträge: 172
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Wohnort: Darmstadt
Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 17.09.2010, 21:08    
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Hallo lieber Christian,

mit der Todesursache Blödigkeit ist damals gemeint gewesen: Krankheit, Kränklichkeit, Schwäche.

Viele Grüße
Rainer
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Sturma

Moderator

Beiträge: 1261
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Wohnort: Leteln bei Minden/Westf.
Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 19.09.2010, 11:32    
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Liebe Mitforscher,

in den Sterbeeinträgen kann man oft lesen, dass es sich bei dem oder der Verstobenen um ein "blödes Mensch", eine "schwachsinnige Person" etc. handelt.
Nach meinen Erfahrungen war das soziale Netz, dass diese Menschen aufgefangen hat die Familie oder die Dorfgemeinschaft. In den Grundbüchern kann man oft lesen, dass dort die Versorgung der geistig oder körperlich behinderten Geschwister mit dem Ausgedinge für die Eltern geregelt wird. Manchmal findet man auch Regelungen für diese Personen selbst, die über den Hof auf Lebenszeit versorgt werden. Bei materiell schlecht gestellten Familien ist die Dorfgemeinschaft dafür eingetreten. Es gab im 19. Jahrhundert eigens eingerichtete Armenhäuser, wo diese Personen, wie auch Alte und Gebrechliche, versorgt werden konnten. Das waren keine Luxusunterkünfte und die Bewohnern mussten sich nicht selten einen Raum teilen, aber sie waren versorgt und hatten ein Dach über dem Kopf. Oft gingen die Bewohner des Armenhauses auch einer ihren Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigung nach, meist als Tagelöhner, aber auch als Besenbinder, Plizsammler, etc.
_________________
Herzliche Grüße

Jürgen (Sturma)

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Ortsberichterstatter für Ohrnes und Rippau
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FUCHS

Foren-Profi

Beiträge: 190
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Wohnort: Wien
Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 20.09.2010, 10:37    
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Wie sah es eigentlich allgemein mit der medizinischen Versorgung aus?
In den Ortschaften der Pfarre Alt-Moletein gab es keinen Arzt.
Bei meinen Vorfahren finde ich da nur in Mährisch-Trübau einen Arzt, manchmal auch als Wundarzt bezeichnet.
Das zuständige Krankenhaus war wohl in Mährisch-Schönberg.

Wer hat eigentlich die Totenbeschau durchgeführt? Wurde die durch einen Arzt erledigt? Wenn ja, wie hat man den verständigt? (Der Normalfall: Tod - am Tag danach Totenbeschau - am darauffolgenden Tag Begräbnis in Alt-Moletein).

Gab es bestimmte Berufsgruppen, die auch für diverse medizinische Behandlungen zuständig waren? Es kommt ja allgemein z.B. häufig vor, dass der Friseur auch gerne "Bader" war - nur in Alt-Moletein ist mir noch kein Haarschneider untergekommen.

Gibt es eigentlich typische Hausmittel aus dem Schönhengst?

LG
Christian Fuchs
Wien
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Sturma

Moderator

Beiträge: 1261
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Wohnort: Leteln bei Minden/Westf.
Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 20.09.2010, 12:58    
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Lieber Christian,

es gab in Alt-Moletein im 20. Jahrhundert einen Arzt, Dr. Berg. Auch in Müglitz gab es in geschichtlicher Zeit Ärzte. Es gab in den Dörfern sog. "Krankenhäuser", wo kranke Menschen gpflegt werden konnten. Wer da für die Pflege und medizinische Versorgung zuständig war, kann ich aber nicht sagen. Grundsätzlich galt aber, dass der Arzt nur in besonderen Notfällen konsultiert wurde, da ja die Behandlung Geld kostete. Bis dahin hatte man eine Vielzahl von Hausmitteln oder zog jemanden zu Rate, der sich "auskannte".

Meine Großeltern konsultieren Ärzte entweder in Müglitz oder in Mährisch Trübau.

Es gab auch ein Krankenhaus in Mährisch Trübau, das wohl von den Moleteinern und den umliegenden Dörfern aufgesucht wurde. Ich weiß allerdings nicht, wann das gegründet wurde.

Zu den anderen Fragen kann ich Dir im Moment nicht antworten.
_________________
Herzliche Grüße

Jürgen (Sturma)

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Bernd aus Tamm

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Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 04.09.2011, 14:43    
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Hallo!

Man muss aufpassen, dass man die heutig geläufigen Ausdrücke nicht 1:1 in die Vergangenheit übersetzt. Die Sparche wandelt sich- Wörter erfahren Verengungen oder Erweiterungen.

In den alten Dokumenten (nicht nur aus dem Schönhengst) ist oftmals als Todesursache "Leibsblödigkeit" oder "Blödigkeit des leibes" zu lesen. Damit ist nur die Gebrechlichkeit gemeint.
Blödigkeit muss also nicht in unserem heutigen engen Wortsinn verstanden werden als Schwachsinn oder geistige Behinderung, obwohl es das durchaus auch bedeuten kann.

Über den Umgang mit behinderten Menschen sagen diese Begriffe allerdings noch lange nichts aus.

Gruß
Bernd
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Baerbel

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Beitrag Aw.: Sterbebucheintrag - Zum Schmunzeln oder menschenveracht. Verfasst am: 17.10.2011, 19:05    
  Antworten mit Zitat      
Hallo zusammen,

wenn für die junge Frau aufgrund ihrer "Blödsinnigkeit" kein Priester gerufen wurde, ist wohl doch sehr wahrscheinlich von geistiger Behinderung auszugehen.
Ich habe schon ein paar ähnliche Einträge gefunden.

Normalerweise wurde ein/e Katholik/in ja nicht nur getauft, sondern ging auch zur Erstkommunion und später zur Firmung. Beiden Ereignissen ging eine - teils mehrmonatige - religiöse Schulung voraus, die ein Mindestmaß an "Geisteskraft" voraussetzt.
Im Zusammenhang mit der Erstkommunion stand zum einen die Zulassung (und Verpflichtung) zur regelmäßigen Beichte sowie zum Empfang der "Kommunion" (Eucharistie).
Bei der Firmung musste man sich "aus freien Stücken" und ganz bewußt zum katholischen Glaubensbekenntnis sowie dem Taufversprechen bekennen (das Taufversprechen wird erneuert) und man wird Vollmitglied der kath. Kirche.

Aber das geht eben nur, wenn man ein Mindestmaß an "Geisteskraft" mitbringt. Geistig behinderte Menschen können daher (zumindest ab einem bestimmten Grad der Behinderung) weder zur Erstkommunion noch zur Beichte noch zur Firmung gehen. (Wo da die Grenzen sind, weiß ich nicht.)

Wenn ein/e Katholik/in "versehen" wird, erhält er/sie in der Regel nicht nur die "letzte Ölung" sondern beichtet noch einmal und empfängt noch mal die "Kommunion" (soweit er/sie dazu zugelassen ist).
Das können geistig Behinderte eben nicht. Trotzdem hätte die Familie den Priester rufen können (wegen der letzten Ölung). Da sie das unterlassen hat mit der Begründung "Blödigkeit" halte ich eine schwere geistige Behinderung der jungen Frau für ziemlich wahrscheinlich.
(Körperliche Gebrechlichkeit ist kein Ausschlusskriterium für die Erstkommunion, Beichte und Firmung - da geht ja klar um den "Seelenfrieden". Dazu muss das Hirn funktionieren, nicht unbedingt der gesamte Körper. Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass die junge Frau eben weder zur Erstkommunion noch jemals zur Beichte noch zur Firmung gegangen ist, sonst hätte die Familie mit ziemlicher Sicherheit den Priester gerufen.)

Normalerweise haben sich die Familien um behinderte Familienmitglieder gekümmert. Wie gut oder schlecht die Versorgung und Pflege war, dürfte sich (wie auch heute noch) von Fall zu Fall unterschieden haben.
In dem vorliegenden Fall ist die junge Frau immerhin fast 24 Jahre alt geworden, was bei den damaligen medizinischen Möglichkeiten auf dem Land eigentlich auf eine gute Versorgung und Pflege seitens der Angehörigen hindeutet. (Bei schwerer geistiger Behinderung ist die Lebenserwartung meist nicht besonders hoch und ist erst durch die moderne Medizin verlängert worden. Ein Alter 20+ ist da bei traditioneller Versorgung durchaus gut im Rahmen.)

(Ich habe aus meiner Heimatregion übrigens ein Foto einer bäuerlichen Familie mit einem geistig behinderten Sohn, das so etwa Mitte/Ende der 1920er aufgenommen wurde. Der junge Mann sitzt dort in der Mitte zwischen den Eltern und den gesunden Geschwistern - also genau im Mittelpunkt der Familie. - Ich halte das für einen Hinweis, dass er in dieser Familie in seiner Eigenheit akzeptiert und gut versorgt wurde. - Aber das ist eben nur ein Einzelschicksal was nicht generalisiert werden kann.)

Soweit meine 5 Cent dazu.

Viele Grüße

Bärbel
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